AdresseHamburger Straße 4
OrtNauen
Verlegedatum11.05.2006
Geboren02.07.1881 Hamburg
Gestorbenunbekannt

Zum Zeitpunkt der Verlegung 2006 war uns nur weniges über Dr. Olga Philip bekannt; selbst die richtige Schreibweise ihres Namens war seinerzeit nicht eindeutig. Der Hamburger Historiker Björn Eggert recherchierte inzwischen im Hamburger Staatsarchiv in der Alten Einwohnermeldekartei und im Geburtenregister dankenswerterweise für uns folgendes:

Olga Philip wurde am 2. Juli 1881 in Hamburg-St. Georg in der Straße Beim Strohhause 73 geboren. Ihr Vater Mendel Ernst Moritz Philip (geb. 16.7.1853 in Glückstadt) war Kaufmann und erwarb das Hamburger Bürgerrecht, was auf gesicherte wirtschaftliche Verhältnisse hindeutet.

Ihre Mutter, Hedwig Philip geb. Scheuer (geb. 9.3.1856 in Düsseldorf) hatte laut Einwohnermeldekartei noch drei weiteren Kindern das Leben geschenkt: Emma Elsa (geb. 12.3.1879), Alice (geb. 5.4.1880) und Conrad Eugen (geb. 15.2.1891). Die Familie wohnte von 1894 bis 1901 in Hamburg-Borgfelde in der Güntherstraße 36.

Nach dem Tod von Ernst Philip am 8. Dezember 1901 lebte die Familie noch vier weitere Jahre in der Wohnung, ehe sie sich am 3. März 1906 nach Berlin in die Regensburgerstraße 13 abmeldete.

Gunter Demnig mit dem Stolperstein
G. Demnig verlegt den Stein ins Pflaster

Durch weitere Recherchen wurde inzwischen bekannt: Nach ihrem Medizinstudium an der Berliner Universität erhielt Dr. Olga Philip ihre Berufszulassung 1919. In diesem Jahr wurde sie mit einer Arbeit über „Appendizitis und Krieg auf der chirurgischen Station des Krankenhauses im Friedrichshain zu Berlin“ promoviert. Anschließend wirkte Dr. Olga Philip in Nauen als erfolgreiche und beliebte Kinderärztin.

Zunächst kam sie 1919 als Medizinalpraktikantin an das Cecilie-Kreiskrankenhaus. Ab 1921 nahm sie als niedergelassene Ärztin ihre Tätigkeit auf. Dr. Olga Philip verlor aufgrund ihrer jüdischen Herkunft 1934 ihre Zulassung und erhielt ab 1938 Berufsverbot. Sie wurde durch die Nationalsozialisten massiv verfolgt, zur Zwangsarbeit bei Siemens in Berlin gezwungen und schließlich deportiert. Ein mündlich überbrachter Gruß aus dem Warschauer Ghetto im Jahr 1943 war das letzte Lebenszeichen von ihr.

Die Nauenerin Ursula Arzbächer recherchierte in den Jahren 2001 bis 2004 zu Dr. Olga Philip und fand heraus: an sie „gibt es in der Familie ihrer ehemaligen Haushälterin noch sehr persönliche Erinnerungen. Fräulein Frida Friedrich (1904-1985) kam durch eine Annonce in der Zeitung 1932 von Berlin aus nach Nauen und führte der alleinstehenden Frau Dr. Philip bis 1938 den Haushalt. Praxis und Wohnung befanden sich im 1. Stock des Hauses Hamburger Straße 4, und oben im Dachgeschoss wohnte Fräulein Friedrich. Frau Dr. Philip gehörte einer christlichen Glaubensgemeinschaft an. Ihr Bruder war mit einer nichtjüdischen Deutschen verheiratet. Ihre Arbeit wurde allseits hoch geschätzt, so dass man ihr im 1. Weltkrieg die Leitung des Kreiskrankenhauses Nauen übertrug. Später, wieder in ihrer eigenen Kinderarzt-Praxis wirkend, fand sie große Anerkennung für ihre selbstlose Arbeit zum Wohle ihrer kleinen Patienten.
Als Fräulein Friedrich 1938 Herrn Dibowsky heiratete, ließ Frau Dr. Philipp die Kirche in Markee mit Rosen ausschmücken und schenkte den Neuvermählten ein wertvolles Porzellan-Service, das sich heute noch in den Händen der Familie befindet. Die Schriftzüge der Ärztin sind als Widmung in einem Buch erhalten geblieben, dass sie 1936 ihrer Haushälterin nach vierjähriger Tätigkeit in ihrem Hause überreichte. Die beiden Töchter der Familie haben noch weitere Erinnerungsstücke aufgehoben.
Mit dem am 25.07.1938 verhängten totalen Berufsverbot für „nichtarische“ Ärzte waren auch Frau Dr. Philip die Hände gebunden. Danach befragt, warum sie denn nach all den entwürdigenden Umständen noch weiter in Neuen bliebe, gab sie zu verstehen, dass sie ja einen Eid geschworen haben und sich daher den hilfesuchenden Menschen gegenüber verpflichtet fühle. Frau Dr. Philip war im November 1938 auch den Übergriffen der Nazis ausgeliefert.
Einige Zeit danach wandte sie sich an den Tischlermeister Weizenegger in der Marktstraße mit der Bitte, ihre beschädigte Wohnungstür zu reparieren. Kein Wort über die Ursache des Schadens. Der Meister gab seinem damaligen Lehrling Kurt Raschke den Auftrag, abends dort vorbei zugehen, um den Schaden zu beheben. Doch sein Vater, der selbst Erfahrungen im Widerstand gegen die Faschisten gesammelt hatte, ließ ihn nicht alleine gehen. Vorsichtshalber betraten sie das Grundstück des Bauern Thöns, zu dem das Wohnhaus in der Hamburger Straße 4 gehörte, über den Hintereingang von der Schützenstraße aus, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. So konnte dann der Schaden behoben werden.
Als Frau Dr. Philip eines Tages der Familie Dibowsky in der Dammstraße einen Besuch abstattete, tauchte kurz nach ihrem Weggehen ein Nazi auf, der sich Gewissheit verschaffen wollte, aus welcher Wohnung sie gekommen war. Für die Familie auch ein beängstigendes Gefühl, waren doch Kontakte zwischen Ariern und Juden untersagt. Danach bat Frau Dr. Philip darum, sie nicht mehr auf der Straße anzusprechen.
Jüdische und nichtjüdische Ärzte in Nauen hatten bis zur Zuspitzung der politischen Lage untereinander guten Kontakt. Für die Kinder von Herrn Dr. Walter Kron, der 1920 Chefarzt des Kreiskrankenhauses wurde, war Frau Dr. Philip ‚Tante Philip‘. Die Ehefrauen von Herrn Dr. Kron und Herrn Dr. Hodesmann trafen sich in gemeinsamen Kaffeekränzen, und auch die Kinder der beiden Ärzte waren gut miteinander bekannt.
Als 1941, als alle Juden zur Zwangsarbeit verpflichtet waren, soll Frau Dr. Philip in Berlin bei Siemens gearbeitet haben. In der Familie Dr. Kron erinnert man sich daran, dass etwa 1943 ein SS-Mann vor der Tür stand und angab, er solle aus dem Warschauer Getto einen Gruß von Frau Dr. Philip bestellen. Danach blieb ihr Schicksal im ungewissen.“

Quellen:
– Ursula Arzbächer: Aus der Geschichte der Stadt Nauen. Die ehemalige Jüdische Gemeinde. Nauen 2001, S. 30f.
– Staatsarchiv Hamburg, 741-4 (Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925, mikroverfilmt), Karteikarten von Ernst Philip sowie Hedwig Philip und Staatsarchiv Hamburg, 332-5 (Standesämter), 1993 u. 2694/1881 (Geburtsregister 1881, Olga Philip).