AdresseMittelstraße 7
OrtDallgow-Döberitz
Verlegedatum18.11.2009
Geboren22.04.1890 Frankfurt (Oder)
Gestorben16.04.1943 Brandenburg a. d. H. (Zuchthaus)

Am 18. November 2009 wurde vom Künstler Gunter Demnig in Dallgow/Döberitz ein Stolperstein verlegt. Rüdiger Schäfer, von der Vorbereitungsgruppe Falkensee hatte die Aufgabe übernommen alle Informationen über Dr. Karpinski zu erforschen.

Dr. Ch. Janssen hatte alle Informationen zu Dr. Karpinski ermittelt und Rüdiger Schäfer hat aus diesen Ergebnissen vorgetragen.

Vergessene Nachbarn

Die Aktion „Stolpersteine“ hat sich zur Aufgabe gemacht, die Verbrechen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft vor Ort aufzuzeigen (siehe MAZ vom 27.03.2008). Die Verfolgung und Deportation von politisch Andersdenkenden, Juden oder Christen im Widerstand, um nur einige der verfolgten Gruppen zu nennen, fand in unserer unmittelbaren Nachbarschaft statt. Die Opfer hatten alle einen Namen und eine Wohnung. Dies macht die Aktion Stolpersteine wieder sichtbar.

Einer von ihnen ist der Schriftsteller Dr. Martin Karpinski, der bis 1936 in Dallgow-Döberitz lebte1. Martin Karpinski wurde am 22. April 1890 in Frankfurt an der Oder als Sohn eines Arztes geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums bestand er 1910 die Reifeprüfung (Abitur) und trat als Fahnenjunker (Offiziersanwärter) in das Heer ein, musste aber bereits nach einem halben Jahr aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden. Danach studierte er Philosophie und Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg, an der er auch am 14.03.1914 zum Dr. phil. promovierte. Bis zum Ende des ersten Weltkrieges war Dr. Karpinski in Leipzig und Berlin als Schriftsteller tätig. Von seinen Werken sind heute nur noch seine späteren, kirchlichen Werke antiquarisch erhältlich (z.B. Sonntag – Der Unendliche an Dich!)

Anfang der zwanziger Jahre ging er zeitweilig in die USA, um an einer Universität in Washington als Professor für Philosophie zu lehren. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland schloss er sich 1926 der Johannischen Kirche an2. 1931 zog Dr. Karpinski nach Dallgow-Döberitz, wo er ein Grundstück in der Mittelstraße erwarb. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit war er als Pfarrer für die Johannische Kirche tätig. Noch lebende Kirchenmitglieder erinnern sich an einen bescheidenen jungen Mann, der eindrucksvoll und begeisternd predigen konnte3.

Die Johannische Kirche wurde nach einer groß angelegten Verleumdungskampagne am 17. Januar 1935 durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) verboten. Unter dem Verdacht, neue Verbindungen zu ehemaligen Kirchenanhängern anzuknüpfen, wurde Dr. Karpinski am 2. September 1935 verhaftet, dem Amtsgericht Potsdam vorgeführt und anschließend in so genannte „Schutzhaft“ genommen. Das Strafverfahren endete damit, dass er und seine mitangeklagte Lebensgefährtin vom Sondergericht in Berlin mangels Beweise freigesprochen wurden4.

Nachdem Dr. Karpinski seine Lebensgefährtin geheiratet hatte, verließen sie 1936 gemeinsam Deutschland. Sie fanden zuerst in den Niederlanden bei einer befreundeten holländischen Familie Aufnahme. Später (1938) übersiedelten sie nach Antwerpen (Belgien). Während dieser Zeit lebte die Familie von seinen Vergütungen, die er für Zeitungsaufsätze erhielt und von der Beihilfe eines katholischen Hilfsausschusses5. In seinen Publikationen berichtete er über seine Erlebnisse in Deutschland. Drei seiner Schriften, in denen er auf die Eroberungspläne Deutschlands verwies bzw. die nationalsozialistische Kulturpolitik kritisierte, sollten ihm zum Verhängnis werden. So schrieb er unter anderem: „Wissenschaft und Kultur sind im nationalsozialistischen Deutschland nicht frei, sondern werden dazu missbraucht, die Herrlichkeit, Allmacht und Unfehlbarkeit des Oberkommandierenden (Hitler) zu manifestieren“6.

Im Sommer 1938 trennte sich seine Ehefrau von ihm und leitete die Scheidungsklage ein. Um die Klage durchzusetzen, legte sie dem Gericht diese drei „deutschfeindlichen“ Schriften vor. Warum er 1939 nach Deutschland zurück kam und nicht wie angekündigt nach Amerika emigrierte, ist nicht bekannt. Unmittelbar nach seiner Rückkehr wurde er am 17.11. 1939 verhaftet und am 22. Juli 1940 wegen „Volksverrat“ durch den Berliner Volksgerichtshof zu einer Zuchthausstrafe von zehn Jahren und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von zehn Jahren verurteilt. Im September 1940 verlor er seine akademische Würde. Sein Doktortitel wurde ihm durch die Universität Heidelberg aberkannt.7

Mit der Überführung Dr. Karpinskis in das Zuchthaus Brandenburg a/H.-Görden im August 1940 begann ein unsagbarer Leidensweg, der in den Bittbriefen seiner Schwester Martha Schulte (1892 – 1979) an die Anstaltsleitung eindrucksvoll dokumentiert ist8. Unmenschliche Haftbedingungen schwächten seinen Gesundheitszustand und verursachten Bronchitis, Darmerkrankungen und Wassereinlagerungen in beiden Beinen. Im Oktober 1942 wog er nur noch 46,5 Kilo. Seine Schwester, deren Besuchsanträge häufig abgelehnt wurden, versuchte vergeblich ihm Medikamente zukommen zu lassen. Auf ihr eindringliches Schreiben antwortete ihr der Vorstand des Zuchthauses im November 1942: „Dass nach Anhörung des hiesigen Anstaltarztes kein Grund zur Besorgnis vorhanden ist. Die Zusendung von Medikamenten ist nicht zulässig und auch nicht notwendig“. Nur wenige Monate später, am 10. April 1943 erhielt sie folgendes Telegramm: „Befinden Martin Karpinski verschlechtert sofortiger Besuch erwünscht“9. Am 16. April 1943 verstarb Dr. Martin Karpinski, angeblich an TBC.

Heute, 65 Jahre später, wäre es schön, wenn auch die Gemeinde Dallgow-Döberitz in würdiger Form an das Schicksal des Schriftstellers Dr. Martin Karpinski erinnern würde.

Herr Hüppe hat die Johannische Kirche angeschrieben. Hier die Antwort:

Sehr geehrter Herr Hüppe,

vielen Dank für Ihre E-Mail. Die Idee mit den Stolpersteinen finde ich sehr gut und bitte Sie, mich zu informieren, wenn die Aktion fertig ist.

Zu Dr. Martin Karpinski habe ich noch folgende Infos in unserem Kirchenarchiv gefunden:
Prediger Professor Dr. Martin Karpinski geriet ebenfalls in die Hände der Gestapo. Er hatte ein Buchmanuskript verfasst gegen den Nationalsozialismus mit dem Arbeitstitel „Wahn und Sinn“. Das Manuskript verwahrte er in seiner Wohnung. Als er eines Tages von einer Reise nach Hause fahren wollte, traf er in der Berliner S-Bahn einen Nachbarn. Der warnte ihn: „In ihrer Wohnung wartet die Gestapo auf ihre Rückkehr.“
Karpinski emigrierte sofort nach Holland. Bei dem Einmarsch der deutschen Truppen im Jahre 1940 wollte er sich in die Schweiz absetzen. Vor der Schweizer Grenze wurde er in Frankreich aus dem Zug verhaftet. Die deutschen Truppen waren bis zu dieser Bahnlinie vorgestoßen. Zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, verstarb er nach dreijähriger Haftzeit im Zuchthaus Brandenburg.
Seine Schwester Maria Schulte, nach Wiedergründung der Kirche zur Gemeinde Düsseldorf gehörend, ließ eine Gedenktafel für ihren Bruder Martin auf dem Neuen Friedhof in Frankfurt (Oder) anbringen. Dort befand sich die Erbbegräbnisstätte der Familie Karpinski. Martin Karpinskis Vater war in Frankfurt (Oder) ein angesehener Arzt und Obermedizinalrat gewesen. – Das Familiengrab existiert seit einigen Jahren nicht mehr. Die Tafel, die an Dr. pol. Martin Karpinski erinnerte, ist verschwunden.

Mit freundlichen Grüßen
Rainer Gerhardt
Redakteur
Johannische Kirche KÖR Redaktion Weg und Ziel

1 Universitätsarchiv Heidelberg, Prof. W. Moritz
2 Landeshauptarchiv Brandenburg, Potsdam
3 Archiv der Johannischen Kirche, W. Göricke
4 Landeshauptarchiv Brandenburg,
5 Universitätsarchiv Heidelberg
6 Universitätsarchiv Heidelberg
7 Moritz, W. (2001): Die Aberkennung des Doktortitels an der Universität Heidelberg während der NS-Zeit. In: Kohnle, A. & Engehausen, F. (Hrg.): Zwischen Wissenschaft und Politik; Franz Steiner Verlag Stuttgart
8 Landeshauptarchiv Brandenburg
9 Landeshauptarchiv Brandenburg